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Bereit für große Ziele

Linus Straßer spricht im WM-Interview über das Erfolgsgeheimnis eines Slalomfahrers.

 

Dank konstanter Top-Ergebnisse in dieser Saison zählt Linus Straßer bei der Alpinen Ski-Weltmeisterschaft 2023 in Courchevel/Méribel zum erweiterten Favoritenkreis. Nach dem gewohnt intensiven Januar mit fünf Slalomrennen in Garmisch, Adelboden, Wengen, Kitzbühel und Schladming hat der Münchener noch einmal zu Hause bei seiner Familie regeneriert, ehe er über Sestriere nach Frankreich gereist ist.

 

Rechtzeitig zur WM haben wir mit Linus gesprochen: über die Kraft mentaler Stärke, über entscheidende Hundertstel – und über das, was für ihn den wahren Erfolg im Leben ausmacht.

»Du musst oben stehen und dir denken: Welcher Hang auch kommt … ich bin bereit und werde das Richtige tun.«

Linus, was überwiegt: die Vorfreude auf die WM-Rennen oder die Anspannung, weil du konkrete Medaillenchancen hast?

„In erster Linie freue ich mich. Erst Teamevent, einen Tag darauf der Parallelwettbewerb, zum Schluss dann der Spezialslalom. Das ist eine schöne Spannungskurve. Die Chancen auf eine Medaille stehen gut. Aber sie stehen auch bei anderen gut, die Leistungsdichte ist enorm hoch. Ich versuche einfach meine Leistung zu bringen. Was diese dann wert ist, zeigt einem am Ende die Ergebnisliste.“

Ein Slalomlauf besteht aus gut 60 Toren, wird immer anders gesteckt. Wie genau hast du so einen Lauf im Kopf?

„Ganz genau. So kann ich ihn vor dem eigentlichen Durchgang mehrere Male im Kopf durchlaufen. Das gibt dir Sicherheit. Wenn ich fahre, bin ich allerdings nicht darauf konzentriert, den Lauf im Kopf mitzugehen. Der Kopf wäre viel zu langsam und würde wohl eher hinterherfahren. Auf die Schlüsselstellen bin ich natürlich fokussiert, vielleicht gibt es eine Haarnadelkurve, bei der ich etwas Spielraum einplanen muss, oder einen speziellen Übergang hinein in einen Steilhang. Aber ansonsten bin ich voll und ganz im Moment und auf der Piste.“

Den zweiten Lauf im Slalom wird dein Trainer stecken. Ist das ein Vorteil?

„Es heißt immer wieder, das könne ein Vorteil sein. Mir ist aber ehrlich gesagt lieber, wenn das gar nicht großartig berücksichtigt wird. Am schönsten ist es, oben zu stehen und sich zu denken: Welcher Hang, welche Kurssetzung, welche Schneebedingungen da auch vor mir liegen … es kann kommen was will. Weil ich überzeugt davon bin, dass ich gut auf dem Ski stehe und das Richtige tun werde.“

 

»Du musst in der mentalen Verfassung sein, Fehler zuzulassen. Und die Sicherheit haben, auch mal ausscheiden zu dürfen.«

Viele Slalomfahrer zeigen einen guten Lauf. Entscheidend sind aber zwei gute Läufe. Ist das Kopf oder Können?

„Ich denke, der Kopf gibt den Ausschlag. Manchen wurde so etwas vielleicht in die Wiege gelegt. Läufer wie Henrik Kristoffersen machen auf mich einen mental extrem starken Eindruck. Es ist wirklich beeindruckend, wie gut er unter Druck agiert. Bei mir persönlich war es ein langer Weg, aber auch ein schöner Weg, den ich nicht missen möchte, weil er mich in die Verfassung gebracht hat, in positiver Anspannung meine beste Leistung abrufen zu können.“

Wie gelingt es einem, auf den Punkt bereit zu sein?

„Im Sommer traf ich auf einer Hochzeit Ted Ligety. Wir haben uns lange unterhalten, auch darüber, wie er sich zu seinen besten Zeiten, er war ja fünfmal Weltmeister, mental gefühlt hat. Ted meinte, man müsse gar nicht immer über sich hinauswachsen. Sondern die vorhandene Stärke, die Leistung, die man im Training bringt, einfach nur im Rennen abrufen. Klingt banal, ist aber elementar: Du musst wissen, dass du es kannst. Und genau das auf die Piste bringen.“

Zwischen Sieg und Einfädeln liegen beim Slalom nur Zentimeter. Wie kann ich Fehler vermeiden und dennoch am Limit fahren?

„Fehler gehören dazu. Das passiert vielen, und es passiert oft. Wenn du mit dem Gefühl einer aktiven Fehlervermeidung fährst, wirst du nicht ans Limit gehen und nicht genug Speed haben. Du musst in der mentalen Verfassung sein, Fehler zuzulassen. Und die Sicherheit haben, auch mal ausscheiden zu dürfen. Deshalb bin ich auch über einen sechsten Platz wie zuletzt in Chamonix glücklich. Das waren gute Läufe und ein gutes Ergebnis. Das wird vielleicht nicht von jedem als solches wahrgenommen: Aber mir gibt es das Selbstvertrauen, bereit zu sein.“

»Wer das Hundertstelglück nicht in Anspruch nehmen möchte, der muss einfach schneller fahren.«

Kannst du dich an einen Moment erinnern, in dem für dich klar war: Jetzt bin ich bereit, in wirklich jedem Rennen ums Podest mitzufahren?

„In Madonna di Campiglio im Dezember wollte ich mir ein gutes Ergebnis sichern. Das ist wichtig am Anfang einer Saison. Ich habe Gas gegeben, bin Dritter geworden, war aber nicht am absoluten Limit und trotzdem nur 18 Hundertstel hinter dem Sieger Daniel Yule. Das war ein gutes Gefühl: Ich wusste, dass ich die Form und das Können habe, in den nächsten Rennen um den Sieg mitzufahren.“

Und in Garmisch, als du als Zweiter nach dem ersten Durchgang ausgeschieden bist?

„Da habe ich es drauf angelegt, hier wollte ich gewinnen und bin volles Risiko eingegangen. Im Nachhinein hat es wehgetan auszuscheiden. Aber es war dennoch richtig. Ich bin mit viel Herz gefahren, habe die anderen herausgefordert, die wiederum mich herausgefordert haben. Das ist es, was wirklich zählt im Sport: ein offen geführter, ehrlicher Wettkampf, der Spaß macht.“

Und wenn’s am Ende um ein Hundertstel geht? Macht das auch noch Spaß?

„Kommt drauf an, auf welcher Seite man steht! In Adelboden werde ich Dritter, bin eine Hundertstel vor Loïc Meillard und Alex Vinatzer, die beide Vierter werden. Da feiert man den dritten Platz und blickt nicht großartig nach hinten. In Kitzbühel wiederum lande ich wegen zwei Hundertstel auf dem vierten statt dem zweiten Platz. Am Ende wird es sich immer ausgleichen. Und wer das Hundertstelglück nicht in Anspruch nehmen möchte, der muss einfach schneller fahren.“

»Es geht nicht um die Ziele selbst: sondern um die Ereignisse und Emotionen, die dich dorthin gebracht haben.«

Man redet immer von Erfolgen und Ergebnissen im Sport. Welches Ziel möchtest du für dich als Persönlichkeit erreichen?

„Mein erster Weltcupsieg im Spezialslalom in Zagreb war ein Augenöffner. Beim Skifahren als Leistungssport ist es ähnlich wie im normalen Leben, nur etwas schnelllebiger: Du setzt dir Ziele und arbeitest darauf hin, deine Ziele zu erreichen. Du willst besser werden, dein Leben verändern. Hast du ein Ziel erreicht, ist das ein wunderschönes Gefühl, aber im gleichen Moment ist es auch schon wieder geschehen … und irgendwie vorbei. Was dir am Ende dauerhaft Zufriedenheit schenkt, ist nicht das erreichte Ziel, sondern der Weg dorthin. Wenn du zurückblickst, in welchen Tälern du mental und sportlich warst, wie du gekämpft hast, wie du an dich geglaubt hast, wie du dich weiterentwickelt hast. Das ist der eigentliche Erfolg. Es ist schön, seine Ziele zu erreichen. Aber von wahrer Bedeutung sind die Ereignisse und Emotionen, die dich dorthin gebracht haben.“

Du hast 2022 geheiratet, bist im Dezember Vater geworden. Bist du nun ein anderer?

„Das vielleicht nicht, aber es relativiert vieles. Als ich in Garmisch ausgeschieden bin, habe ich nach dem Rennen meine Frau und unsere Tochter in den Arm genommen. Die Kleine strahlt mich an, und ihr ist es total egal, wie ich vorher Ski gefahren bin, ob ich gewonnen habe oder nicht. Das ist ein wunderschönes Gefühl.“

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